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Von Fachanwältin für Arbeitsrecht Anna Fischer

Ja! Das Bundesarbeitsgericht hat sich im September 2021 bereits dazu positioniert, dass die Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erstbescheinigung den ansonsten geltenden hohen Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann erschüttern kann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. Infolge dessen hätte ein Arbeitnehmer konkret vortragen und ggf. beweisen müssen, tatsächlich arbeitsunfähig gewesen zu sein. Nunmehr hat das Arbeitsgericht Neumünster in einem Urteil vom 23. September 2022 zum Aktenzeichen 1 Ca 20b/22 entschieden, dass dies auch dann gelte, wenn die gesamte Dauer der verbliebenen Kündigungsfrist durch eine Erst- und mehrere Folgebescheinigungen abgedeckt wird.

Nach einer arbeitgeberseitigen fristlosen sowie hilfsweise ordentlichen Kündigung machte der Kläger geltend, er sei für den Zeitraum ab Kündigungsausspruch bis zum Beendigungszeitpunkt, mithin fast zwei Monate, arbeitsunfähig erkrankt, so dass Entgeltfortzahlungsansprüche bestünden. Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung entsprechender Entgeltfortzahlungsleistungen. Er bestritt das Vorliegen einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung für den genauen Zeitraum bis zum ordentlichen Beendigungszeitpunkt. Das Arbeitsgericht sah die fristlose Kündigung als rechtsunwirksam an, so dass es über die ordentliche Kündigung zu entscheiden hatte. Im Rahmen dieser Beurteilung sah das Gericht einen Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer der Kündigungsfrist als nicht gegeben an. Der Kläger sei in dem Prozess seiner Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich einer Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit nicht ausreichend nachgekommen. Die von dem Arbeitnehmer eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (Erst- und diverse Folgebescheinigungen) haben zwar einen hohen Beweiswert, es ergeben sich jedoch ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung, da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdecken, auch wenn der gesamte Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit erst durch eine Erst- und mehrere Folgebescheinigungen bescheinigt wird. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, dass es keinen Unterschied machen könne, ob die Arbeitsunfähigkeit durch eine einzelne ärztliche Bescheinigung (wie in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im September 2021) oder durch mehrere Bescheinigungen, von denen eine Erst- und die übrigen Folgebescheinigungen sind, dargelegt wird. Bei den Fällen ist gemein, dass die gesamte verbliebene Zeit des restlichen Arbeitsverhältnisses „passgenau“ abgedeckt wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn, wie im zugrundeliegenden Fall, alle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch die gleiche Ärztin ausgestellt wurden und der Arbeitnehmer direkt im Anschluss an den letzten Tag der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit wieder arbeitsfähig ist und ein neues Arbeitsverhältnis beginnt. Im vorliegenden Fall kam noch hinzu, dass das Ende der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit auf einen Montag fiel und der Arbeitnehmer damit ab Dienstag wieder arbeitsfähig war. Eine derartige „Spontangenesung“ mitten in der Woche sei aus Sicht des Arbeitsgerichts schlicht nicht plausibel und führe dazu, dass der Beweiswert einer entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist. Der Arbeitnehmer war infolge dessen dazu verpflichtet, konkret darzulegen und ggf. nachzuweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Dieser Verpflichtung ist er nicht nachgekommen, so dass der Entgeltfortzahlungsanspruch entfallen ist.

Damit bestätigt das Arbeitsgericht Neumünster die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Die Entscheidung ist daher zu begrüßen.

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