Folge 41. Mindestlohn, oder: Das Zwölf-Euro-Problem │B&P BusinessTalk Podcast

 

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12 Euro Mindestlohn – diese Regelung hat jetzt der Bundestag beschlossen. Doch des einen Freud – des anderen Leid. In dieser Episode des BusinessTalk erklärt Thomas Falk, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Stade Elbe-Weser-Dreieck, wieso die Regelung in seinen Augen nicht unbedingt sinnvoll ist und welche unerwarteten Effekte sie hervorrufen könnte.

 

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Rechtsfrage aktuell: Steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu, wenn es zu einem Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes eines Arbeitsverhältnisses kommt, das wegen Erreichens einer tarifvertraglichen Regelaltersgrenze enden würde?

Von Fachanwältin für Arbeitsrecht Anna Fischer

Laut Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. September 2021: Ja.anna fischer neu

Arbeitgeber und Betriebsrat einer Münchener Verkehrsgesellschaft befanden sich im Streit darüber, ob die Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses über die tarifliche Altersgrenze hinaus der Zustimmung des Betriebsrates bedurfte. Der beim Arbeitgeber anzuwendende Tarifvertrag regelte, dass ein Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats endete, in dem der/die Arbeitnehmer-/in das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersgrenze vollendet hat, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Sofern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer den (tarif-)vertraglich fixierten Beendigungszeitpunkt über die Regelaltersgrenze hinausschieben möchten, bietet § 41 S. 3 SGB VI unter den dort geregelten Voraussetzungen die Möglichkeit hierzu. Im zu entscheidenden Fall teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit, dass das Arbeitsverhältnis eines bestimmten Mitarbeiters, das aufgrund der tarifvertraglichen Regelung wegen Erreichens der gesetzlichen Regelaltersgrenze mit Ablauf des 31. Mai 2019 geendet hätte, auf Wunsch des Arbeitnehmers nach § 41 S. 3 SGB VI um ein weiteres Jahr fortgesetzt werde. Eine Zustimmung des Betriebsrates zu der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses holte der Arbeitgeber nicht ein. Er begründete dies damit, dass eine Zustimmung des Betriebsrates gem. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG (mitbestimmungspflichtige Einstellung) in solchen Fällen nicht erforderlich sei. Dieses Recht sei bereits durch die Zustimmung zur ursprünglichen Einstellung verbraucht.

Das BAG entschied, dass die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über ein auf das Arbeitsverhältnis anwendbare tarifliche Altersgrenze hinaus eine nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Einstellung sei. Eine solche komme nicht nur bei der erstmaligen Aufnahme eines Mitarbeiters in den Betrieb in Betracht. Die Interessen der bereits dort beschäftigten Arbeitnehmer seien auch berührt, wenn ein Beschäftigter über den zunächst vorgesehenen Zeitpunkt hinaus in „Lohn und Brot“ bleibe. Mit der Weiterbeschäftigung, so das BAG, nimmt der Arbeitgeber -nicht anders als bei einer Neueinstellung- eine Besetzung des aufgrund der Befristung des Arbeitsverhältnisses frei werdenden Arbeitsplatzes vor. Dies könne Zustimmungsverweigerungsgründe auslösen, die bei der Ersteinstellung nicht voraussehbar waren. Bei jeder befristeten Einstellung reiche die Beteiligung des Betriebsrates daher grundsätzlich nur bis zu der vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Vor Abschluss einer Hinausschiebensvereinbarung im Sinne von § 41 S. 3 SGB VI ist der Betriebsrat daher gem. § 99 Abs. 1 BetrVG anzuhören. Eine solche Vereinbarung ist folglich mitbestimmungspflichtig. Führt der Arbeitgeber eine entsprechende personelle Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrates durch, kann der Betriebsrat beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, die personelle Maßnahme aufzuheben.

Beschluss des BAG vom 22. September 2021 – 7 ABR 22/20

Die Stimmung in den Unternehmen ist angespannt

B&P-GESPRÄCH AGV-Hauptgeschäftsführer Thomas Falk über den alltäglichen Pandemie-Wahnsinn und das politische Dauerchaos

Seit Anfang November klingelten die Telefone im Büro des Arbeitgeberverbandes Stade Elbe-Weser-Dreieck e.V. wieder häufiger: Die rapide steigenden Corona-Zahlen und die diskutierten Maßnahmen speziell auch für Unternehmen bereiteten den Mitgliedern zunehmend Kopfzerbrechen und warfen viele Fragen auf, wie Hauptgeschäftsführer Thomas Falk im B&P-Gespräch sagt.: „Die Stimmung in den Unternehmen ist angespannt. Und das Vertrauen in den Gestaltungswillen der Politik wurde auf eine harte Probe gestellt. Die jüngsten Entscheidungen geben aber ein bisschen Hoffnung, dass wir jetzt so langsam auf dem richtigen Weg sind. Dazu zählt für mich auch eine allgemeine Impfpflicht. Dass sich Geimpfte und Genesene heute zusätzlich testen lassen müssen, ist allerdings allein auf die zu geringe Impfbereitschaft der Bevölkerung zurückzuführen. Das hätte anders laufen können.“

Nachdem die Infektionszahlen auf Rekordkurs sind und das RKI täglich Hiobsbotschaften verbreitet, wird jetzt immer deutlicher, dass die politischen Entscheider viel zu lange gezögert haben. Das gilt vor allem für die Zick-Zack-Politik des Bundesgesundheitsministers. Falk: „Es war natürlich ein Fehler, die Impfzentren zu schließen, während in anderen Ländern bereits die Booster-Impfungen hochgefahren wurden. Das war doch absehbar. Es wurde zu wenig Druck auf die Impfunwilligen ausgeübt. Und zu guter Letzt wurde auch noch das Ende der ‚epidemischen Lage nationaler Tragweite‘ verkündet – das mag formal richtig sein, um Ordnung in die Entscheidungsebenen zu bringen, aber nach außen war das ein völlig falsches Signal.“

Immerhin gibt es mittlerweile auch positive Entscheidungen: „Dass der Arbeitgeber jetzt das Recht hat, seine Mitarbeiter nach ihrem Impfstatus zu befragen, ist gut, hat aber auch sehr lange gedauert. Und dass Ungeimpfte in Quarantäne keine Lohnfortzahlung bekommen, ist ebenfalls konsequent“, sagt Thomas Falk.

Impfen, impfen, impfen!

Und weiter: „Wir haben jetzt zwei Jahre lang mit der Pandemie zu kämpfen und es lange genug in der Hand gehabt, uns auf die Pandemie einzustellen. Trotzdem gibt es offenbar immer noch Probleme, die Arztpraxen mit ausreichenden Impfdosen zu versorgen. Meines Erachtens muss jetzt alles in die Logistik investiert werden, um das formulierte Ziel zu erreichen: 30 Millionen Impfungen bis Weihnachten. Wenn wir aus der Pandemie herauswollen, gibt es nur einen Weg: Impfen, impfen, impfen. Und so viel Impfstoff produzieren wie möglich, um ihn in die Länder der Dritten Welt zu liefern. Es nützt uns doch nichts, wenn wir die Infektionszahlen wieder herunterbekommen, sich im Ausland aber neue Virusvarianten entwickeln, die dann wieder hereingeschleppt werden – siehe Omikron. Das griechische Alphabet hat noch eine ganze Reihe weiterer Buchstaben . . .“

Eine aktuelle Maßnahme findet den ungeteilten Beifall Falks: Nach Portugal und Italien setzt auch die deutsche Regierung einen Bundeswehrgeneral an die Spitze des Krisenstabs. Falk: „Das lässt auf klare und schnelle Entscheidungen hoffen.“ Insgesamt sei die Erwartungshaltung in der Wirtschaft groß, dass einmal verhängte Maßnahmen nicht wieder vorschnell eingestellt werden, weil man hofft, dass es nun besser wird. Klar, Impfzentren sind teuer. Aber sie abzubauen, um sie jetzt wieder aufzubauen, ist noch viel teurer.“ wb

Rechtsfrage aktuell: Kann die Ankündigung eines Arbeitnehmers gegenüber einer Kollegin, den Vorgesetzten aus dem Fenster schmeißen zu wollen, da er kurz vor einem Amoklauf sei, eine fristlose Kündigung rechtfertigen?

 

Von Rechtsanwalt Tobias Wilkens  tobias wilkens

Ja.

Kündigt ein Arbeitnehmer einem Kollegen gegenüber glaubhaft an, er beabsichtige seinen Vorgesetzten aus dem Fenster zu schmeißen und er sei kurz vorm Amoklauf, kann dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen.

Dies entschied das Arbeitsgericht Siegburg am 4. November 2021 zum Aktenzeichen 5 Ca 254/21. Der Kläger war bei der Beklagten Stadt seit über 13 Jahren in der Buchhaltung beschäftigt. Der Kläger äußerte gegenüber seiner Kollegin nach einer Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten über diesen: „Diesen kleinen Wicht schmeiße ich aus dem Fenster. Ich lasse mir das nicht länger gefallen. Ich bin kurz vorm Amoklauf. Ich sage Dir, blad passiert was. Der lebt gefährlich, sehr gefährlich.“

Der Kläger erhielt am 28. Dezember 2020 deswegen eine fristlose und hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30. Juni 2021. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.

Mit Urteil vom 4. November 2021 wies das Arbeitsgericht Siegburg die Klage ab. Die fristlose Kündigung hielt es nach Vernehmung der Kollegin als Zeugin für gerechtfertigt. Der wichtige Kündigungsgrund lag nach Auffassung der Kammer darin, dass der Kläger in ernstzunehmender Art und Weise gegenüber seiner Kollegin Äußerungen getätigt habe, die sowohl die Ankündigung für eine Gefahr von Leib und Leben des Vorgesetzten als auch die Ankündigung eines Amoklaufes beinhaltet hätten. Der Kläger habe nach Drohung nach Überzeugung des Gerichts absolut ernst gemeint. Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig und gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden. Die Entscheidung ist bislang nur als Pressemitteilung veröffentlicht und kann demnächst in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE unter http://www.nrwe.de/5ca254/21 abgerufen werden.

Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg zu 2Gplus bei körpernahen Dienstleistungen

In Niedersachsen gilt anhand der aktuellen Corona-Verordnung ab einer Warnstufe 2 in verschiedenen Einrichtungen 2Gplus, u. a. bei körpernahen Dienstleistungen. Im Rahmen eines Normenkontrolleilverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg beanstandete ein Antragsteller dieses 2Gplus-Erfordernis bei körpernahen Dienstleistungen. Dieser Antrag hatte Erfolg. Der Senat hat die Bestimmung mit sofortiger Wirkung vorläufig außer Vollzug gesetzt. Der mit der 2G(plus)-Regelung vollständige Ausschluss ungeimpfter von allen körpernahen Dienstleistungen sei unangemessen und unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsschutzgeschehens in Niedersachsen keine notwendige Schutzmaßnahme. Das Infektionsrisiko bei der Inanspruchnahme körpernaher Dienstleistungen sei regelmäßig auf nur wenige gleichzeitig anwesende Personen beschränkt und könne durch Basisschutzmaßnahmen (beispielsweise FFP-2-Maske, Testnachweis und Kontaktdatenerfassung) deutlich reduziert werden. Der vollständige Ausschluss Ungeimpfter von allen körpernahen Dienstleistungen berücksichtige grundlegende Bedürfnisse nach einzelnen dieser Dienstleistungen gar nicht, jedenfalls aber mit der allein vorgesehenen Ausnahme für „medizinisch notwendige körpernahe Dienstleistungen“ nicht ausreichend. Bis zu einer Neuregelung der Zugangsbeschränkungen bei der Entgegennahme einer Dienstleistung eines Betriebs der körpernahen Dienstleistungen gelten die Pflichten zum Tragen einer Maske des Schutzniveaus FFP-2 oder ähnlichem, zu Kontaktdatenerhebung und -dokumentation und zur Erstellung und Umsetzung eines Hygienekonzepts. Die Außervollzugsetzung der sog. 2Gplus-Regelung bei körpernahen Dienstleistungen wirkt nicht nur zu Gunsten des Antragstellers in dem einzelnen Verfahren. Die Entscheidung ist vielmehr allgemeinverbindlich.

 

 

 

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Adresse

Arbeitgeberverband Stade Elbe‑Weser‑Dreieck e. V.
Poststraße 1
21682 Stade
Tel.: 04141 4101-0
Fax: 04141 4101-20
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